1. Sebastian, du sitzt ja seit einem Unfall mit einem Motorroller – bei dem du dir eine Querschnittslähmung zugezogen hast – im Rollstuhl. Was würdest du als wichtigste Veränderung seit dem für dich bezeichnen?
Ich habe gemerkt, dass das Leben von einem auf den anderen Moment vorbei sein kann. Dadurch habe ich für mich beschlossen jeden Moment so gut wie möglich zu gestalten! Meine eigene Sterblichkeit ist mir sehr bewusst geworden, so eine Erfahrung kündigt sich ja auch nicht an. Ich habe den Unfall überlebt, mir war aber auch klar, dass ich auch hätte sterben können!
2. Bist Du eigentlich nach Deinem Unfall in ein Loch gefallen und wenn ja, wie bist du wieder daraus gekommen?
Am Anfang war meine Familie und meine Freunde eine große Hilfe und Motivation! Sie haben mir Rückhalt gegeben und mich jeden Tag motiviert, Gas zu geben und dafür zu sorgen, dass ich wieder fit werde! Am Anfang habe ich mir gar keine Gedanken darüber gemacht, dass ich nie mehr laufen werde und welche Auswirkungen das auf mein Leben haben wird. Ich habe mir mehr Gedanken über meine Familie und meine Freunde gemacht. Für mich war es das Schlimmste zu sehen, wie sehr sie unter den Folgen des Unfalls gelitten haben. Das hat mich am Anfang sehr motiviert, wieder fit zu werden um ihnen die Sorge um mich abzunehmen.
Ich habe dann auch meine Ausbildung beendet und bin mit meiner Freundin zusammen gezogen. Erst nach sechs Jahren, als sich mein Leben quasi normalisiert und stabilisiert hat und ich mich von meiner Freundin getrennt habe, bin ich bei mir selbst angekommen! Erst da habe ich realisiert, welche Folgen der Unfall für mich selbst hatte. Erst da bin ich in ein Loch gefallen mit dem ich Monate lang zu kämpfen hatte.
Also hattest du am Anfang mehr den Eindruck, du musst dich erst um die Anderen kümmern, damit sie mit den Folgen des Unfalls klar kommen, als dich auf dich zu konzentrieren?
Ja, das kann man so sagen. Wie gesagt, das war am Anfang so. Später habe ich gemerkt, es kommt darauf an, wie ich mich fühle. Das hat natürlich nochmal alles aufgerissen. Aber da ist mir klar geworden, dass es wichtig ist, was das JETZT für mich bedeutet, wie sich mein Leben verändert und was ich aus dieser Situation mache.
3. Wie bist Du dann dazu gekommen eine Hypnoseausbildung zu machen?
Das Thema Hypnose hat mich eigentlich von Anfang an mit begleitet. Als ich aus dem Koma wieder aufgewacht bin, hatte ich extreme Alpträume, wie etwa vom Feuer, das auf die Erde fällt und alle Menschen verschlingt. Also wirklich dramatische Sachen. Da habe ich mich mit dem Thema Trauma-Verarbeitung beschäftigt, aus der Psychologie. Ich bin dadurch dann auf das subtile Träumen gekommen und die Möglichkeit unsere Träume bewusst zu steuern. Dies wird ja vor allem in der Arbeit mit Kindern angewandt.
Darüber bin ich dann zu der Frage gekommen, wie stark das Unterbewusstsein auf uns wirkt und welchen Einfluss das auf unser Leben hat. Da bin ich dann ganz schnell auf die Hypnose gestoßen. Am Anfang war das aber eher spannend für mich persönlich, also wie kann ich mich selbst hypnotisieren und dadurch Schmerzen lindern und Motivation finden im Alltag. Zu der Zeit habe ich im Jobcenter gearbeitet und Harz IV Empfänger begleitet. Bei dieser Arbeit habe ich dann festgesellt:
„Das ist ja nicht nur ein Thema was mich beschäftigt, im Grunde beschäftigt das ja fast jeden Menschen.“
Jetzt wollte ich meine Erfahrungen weiter geben. Wie kann ich das so machen, dass es verständlich ist? Darüber bin ich dann zu der Ausbildung gekommen.
4. Ein wichtiges Thema ist für dich ja Peer-Counseling, kurz Betroffene helfen Betroffenen! Diesen Ansatz gibt es ja in anderen Bereichen auch, wie zum Beispiel der Drogentherapie und Anderen. Kannst Du kurz sagen, was Dir dort besonders wichtig ist, bzw. warum du diesen Ansatz für besonders wertvoll findest?
Ich habe für mich in der Reha die Erfahrung gemacht, dass es eine Menge Menschen gibt die einem wertvolle Tipps geben können, wie man z.B. mit einem Rollstuhl umgeht und damit im Alltag klar kommt. Therapeuten, Ärzte und auch andere Fußgänger können das sicher auch, aber was mir gefehlt hat, war das Gefühl dahinter. Mir persönlich hat es mehr geholfen wenn ich mich mit anderen Rollstuhlfahrern unterhalten habe, die schon länger im Rollstuhl sitzen. Die haben einfach eine andere Sichtweise. Sie gehen mit vielen Problemen einfach auch mal scherzhaft um. Sie haben mir vermittelt, so schlimm ist das gar nicht, es gibt für alles einen Weg.
Ich habe z.B. gedacht ich könnte nie wieder Ski fahren, eine große Leidenschaft von mir vor dem Unfall. Andere Betroffene haben dann aber gesagt, wieso jammerst du rum, natürlich kannst du noch Ski fahren. Es gibt doch Monoski, das ist Skifahren nur halt im Sitzen.
Diese Erfahrungen wollte ich auch gerne weitergeben. Das heißt, ich möchte anderen jetzt nicht sagen, was sie tun sollen oder müssen, damit es ihnen besser geht. Ich möchte Möglichkeiten aufzeigen und Hilfestellungen geben.
5. Meine Behinderung spielt in meinem Leben keine zentrale Rolle, anders ausgedrückt sage ich immer ich bin vieles, Vater, Ehemann, Arbeitnehmer, Künstler und vieles mehr und unter anderem habe ich eine Behinderung. Welche Rolle spielt deine Behinderung in deinem Leben?
Am Anfang habe ich meine Behinderung einfach nur verdrängt, habe viele Probleme ausgeblendet und nach außen vermittelt, es ist alles in Ordnung, mir geht es gut. Damit ging es mir aber irgendwann gar nicht mehr so gut. Erst als ich mich mit mir selbst beschäftigt habe und meiner Behinderung, meinen Einschränkungen und den Folgen, hat die Behinderung an sich an Stellung verloren. Erst da habe ich gelernt, mich so zu akzeptieren wie ich bin. Heute sehe ich manchmal in meinem Alltag und meiner Arbeit meine Behinderung gar nicht mehr. Es fällt mir dann nur in banalen Alltagssituationen auf, wenn ich z.B. den Müll raus bringe und die Tonnen gerade umgestellt wurden, weil die Müllabfuhr da war. So, dass ich nicht mehr dran komme Oder dann, wenn mich andere auf meine Behinderung ansprechen.
6. Glaubst du, dass du durch deinen Unfall deinen heutigen Beruf ausübst? Oder würdest du ohne den Unfall heute einen anderen Beruf ausüben?
Ich glaube jetzt, dass es wirklich meine Berufung ist und ich würde nie wieder etwas anderes machen wollen. Auf der anderen Seite, weiß ich nicht, ob ich den Weg ohne den Unfall gefunden hätte. Denn vorher war ich von meinen Gedanken her ganz anders unterwegs und hatte mir meine Zukunft anders vorgestellt. Für Außenstehende klingt das vielleicht etwas krass, aber in gewisser Weise bin ich sogar dankbar dafür. Auch wenn es nicht immer leicht ist.
„Zu neunzig Prozent bin ich glücklich und zufrieden mit dem was ich mache.“
Ich würde aber natürlich nicht so weit gehen zu sagen, ey bau mal einen Unfall, darin liegt eine große Chance. Aber ich würde in meinem Leben nichts anders machen, ich würde alles genauso wieder machen. Denn ich bin heute an dem Punkt und ich bin zufrieden damit.
7. Was antwortest du Menschen, die sagen meine Behinderung hindert mich daran ein glückliches und zufriedenes Leben zu führen? Eine Frage die auch ich öfter gestellt bekomme. Oder die Aussage: „also ich könnte so nicht leben“?
Für mich bedeutet das Wort Behinderung, dass etwas nicht so üblich ist oder läuft, wie gedacht. Ich glaube, jeder Mensch hat Behinderungen im Alltag. Manche behindern sich mit Ihren Emotionen, Gedanken und Handlungen und sabotieren sich selbst. Ich sehe dadurch keinen großen Unterschied zwischen Menschen die zwar laufen können, aber sich eben selbst einschränken und Menschen die körperliche Einschränkungen haben.
„Deshalb glaube ich, dass die Behinderung keinen großen Einfluss darauf hat ein glückliches und erfolgreiches Leben zu führen.“
Es kommt darauf an, dass zu erkennen und Wege zu finden mein Ziel zu erreichen, auch wenn es auf den Weg dahin Hindernisse gibt, die ich aus den Weg räumen muss. In meiner Arbeit im Jobcenter hatte ich viel mit Menschen zu tun, denen es eigentlich hätte gut gehen können, sie waren jung und gesund, aber oft standen sie sich eben selbst im Weg, oder haben sich selbst ihre Zukunft verbaut. Ich glaube jeder kann seine Ziele erreichen, ob mit oder ohne Behinderung.
8. Was antwortest du Menschen mit oder ohne Behinderung, die sagen, dass hört sich ja alles toll an und ich bewundere dich dafür, aber ich habe nicht so viel Mut wie du! Eine Aussage die ich oft zu hören bekomme!
Ich würde antworten: Das kann ich gut nachvollziehen, habe ich früher auch gedacht. Dann habe ich angefangen, mich mit mir selbst zu beschäftigen und dem was ich eigentlich will. Habe viel gelesen, Seminare besucht und mich mit anderen ausgetauscht. Da habe ich gemerkt, es gibt viele denen es so geht.
Ich habe dann gemerkt, ich kann alle meine Ziele erreichen, wenn ich nur will. Egal wie alt du bist oder was dich auch hindert. Du kannst alles schaffen, wenn der Wunsch danach groß genug ist. Frei nach dem Motto:
„Frag nicht nach dem warum, fang endlich an zu fliegen.“
9. Wie wichtig ist dir das Thema Selbstbestimmung in deinem Leben und wie setzt du es in deinem Alltag um?
Ja, das ist mein Top Thema, ich würde es allerdings Freiheit nennen. Das ist für mich das Allerwichtigste. Dass ich frei entscheiden kann, was ich will und was nicht. Ich glaube, da haben wir auch heute einen großen Vorteil gegenüber anderen Generationen. Das Thema Selbstbestimmung spielt einfach eine größere Rolle heute, als früher. Wir haben heute mehr Möglichkeiten das zu tun was wir möchten.
10. Glaubst du, dass sich die Gesellschaft in den letzten Jahren positiv verändert hat, und dass es dadurch für Menschen mit Behinderung leichter geworden ist ihre Ziele zu erreichen?
Ich kann natürlich mit meinen 32 Jahren nicht sagen wie es früher war, da hast du sicher einen anderen Blick drauf. Du sitzt ja auch schon viel länger im Rollstuhl, als ich. Ich kann nur sagen, ich finde, dass man heute schon eine Menge Möglichkeiten hat, auch wenn es sicher noch das ein oder andere Hindernis gibt. Aber es gibt auch immer Möglichkeiten diese Hindernisse zu umgehen. Das finde ich wichtiger, als sich zu viele Gedanken über die Hindernisse zu machen. Es sollte mehr im Vordergrund stehen, sein Leben zu genießen und das Beste aus seinen Möglichkeiten zu machen. Ich für meinen Teil empfinde jedenfalls mein Leben als erfolgreich.
Dem kann ich nur zustimmen! Vielen Dank für das nette Interview und deine ehrlichen Antworten!
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