Gedanken zu Corona
Gedanken zu Corona

Gedanken zu Corona

Wie Ihr sicher gesehen habt, habe ich schon lange keinen Blogbeitrag mehr geschrieben. Woran das liegt?

Nun, in meinem Leben hat und gibt es permanent Veränderungen. Deshalb fehlte mir einfach oft die Zeit etwas zu schreiben. Vor Corona war ich damit beschäftigt, mehr als dreimal die Woche, im Circuszentrum Balloni inzwischen über 100 Kinder in unterschiedlichen Gruppen zu trainieren und im Vorstand des Vereins aktiv zu sein. Zuletzt habe ich gemeinsam mit einem Teil unserer Jugendgruppe an einem Varietè Programm gearbeitet, dass eigentlich Ende April hätte aufgeführt werden sollen und jetzt erstmal auf Ende Juni verlegt wurde. Was ich aber leider auch nicht mehr für realistisch halte.

Jeden Wochentag war ich an der Freien Waldorfschule, die auch mein Sohn besucht, in Bereichen wie Kinderbetreuung, Theater AG und Schlichtungskreis aktiv. Zu guter Letzt habe ich angefangen mich in der Lokalpolitik zu engagieren.

Ich führe und habe immer ein aktives, selbstbestimmtes Leben geführt. Auch dadurch bin ich hier in meiner Kleinstadt voll inkludiert, beruflich wie sozial. Wenn ich hier durch die Stadt rolle, begegne ich immer Menschen die ich kenne und mit denen ich mich unterhalte. Ich lerne ständig neue Leute kennen, da es sich nicht vermeiden lässt, wenn man in der Öffentlichkeit arbeitet, auch mal in der lokalen Presse zu stehen und darauf angesprochen zu werden.

Das war mein Leben vor Corona

Und jetzt? Jetzt habe ich mal wieder Zeit, einen Blogbeitrag zu schreiben.

Ansonsten, steht mein bisheriges Leben still! Keine Schule, kein Circus, kein Varieté, keine Lokalpolitik, keine Reiseberatung für RUNA REISEN. Jedenfalls nur sehr eingeschränkt. Wir haben für unsere Homepage www.circuszentrum.de kleine Videos für unsere Kinder gemacht und eingestellt. Vorstandssitzungen und politische Diskussionen finden per Videokonferenz statt, mit den Schul- und Circus-Kindern und deren Eltern versuche ich über Video-Call und Anrufe in Kontakt zu bleiben.

Aber all das, kann den „normalen“ Alltag nicht ersetzten.

Und dann sind da die Nachrichten, Talkshows wie Anne Will, oder Maybrit Illner und die Beiträge in den sozialen Medien, die ich verfolge und deren Inhalte mir zunehmend Sorge bereiten! Inhalte die davon sprechen: Wir müssen den Lock Down langsam lockern, wir können so nicht mehr lange weiter machen.

Ich halte es für durchaus richtig, jetzt darüber nach zu denken, wie und wann wir lockern können. Viele kleine und mittelständische Betriebe und Unternehmen stehen vor dem finanziellen Ruin. Die Reisebranche ist insgesamt gefährdet – keiner weiß wann und wie wir in Zukunft wieder reisen werden.

Was ich aber auch heraus lese und höre ist: Wir lockern erstmal für Teile der Bevölkerung, für die Jungen, für die ohne Vorerkrankungen, für nicht Risikogruppen. Dabei fallen Begriffe wie Umkehrisolation und Cocooning, damit es nicht zu hart klingt. Das trifft mich gelegentlich wie ein Hammerschlag.

Denn ich, wie wahrscheinlich einige von Euch die das hier lesen, gehöre zu dieser Risikogruppe. Nicht nur ich sondern auch Ihr habt Angehörige, Kinder, Eltern usw. die zu eben jener Risikogruppe gehören. Was bedeutet das für Euch, für mich?

Für mich kann das bedeuten, dass ich auf unbestimmte Zeit freigestellt bin. Einige, darunter Vertreter aller Parteien, diskutieren solange bis ein Impfstoff gefunden wird, was aller Wahrscheinlichkeit frühestens Ende des Jahres der Fall sein wird. Kann Politik bzw. ein Gesetz das überhaupt regeln? Könnte eine solche Vorgehensweise die Gesellschaft nicht auseinander reißen? Spalten in jung und alt? Gesund und vorerkrankt? Leistungsträger und Empfänger? Hans-Christian Ströbele hat schon angekündigt, sollte es dazu kommen, Verfassungsklage einzureichen. Aber was, wenn es doch genauso kommt?

Für mich persönlich könnte das bedeutet, dass der Circus, die Schule, die Lokalpolitik Ihre „Arbeit“ wieder normal aufnehmen kann, aber ohne mich und das wahrscheinlich bis mindestens Ende des Jahres. Wollen ich und viele andere, die Jahrelang für Gleichberechtigung, Inklusion und Selbstbestimmung gekämpft haben, plötzlich isoliert werden? Kann ein Gesetz, die Politik das überhaupt regeln?

Soll ich jetzt zu Hause sitzen und den Anschluss an die Gesellschaft, an mein bisheriges Leben verlieren? Mal abgesehen davon, dass das doch nur auf dem Papier funktionieren kann. Meine Frau (Altenpflegerin) muss schließlich normal arbeiten gehen und mein Sohn in die Schule. Einen hundertprozentigen Schutz kann und wird es also für mich und viele andere gar nicht geben. Was mir persönlich dabei auch fehlt: Wer definiert die sogenannte Risikogruppe? Wer gehört dazu und wer nicht? Boris Palmer spricht von allen Menschen ab 65 Jahren und Menschen mit Vorerkrankungen. Wer bleibt dann eigentlich noch übrig? Was eine dauerhafte Isolation mit der Psyche eines Menschen macht, kann und mag ich mir im Moment gar nicht vorstellen.

Meine Überlegungen gehen deshalb dahin, mich selbst zu fragen, was will ich und wie kann ich das umsetzen?

Möchte ich mich freiwillig in die Isolation begeben?

Bedeutet das nicht auch, das mir und vielen anderen das Recht auf Selbstbestimmung und Eigenverantwortung entzogen wird?

Will ich weiter am Leben teilhaben – auch nach dem Lock Down? Auch wenn das für mich bedeutet in Zukunft ein größeres Risiko einzugehen und eventuell mein Leben damit aufs Spiel zu setzen?

Was, frage ich mich, wäre ein Leben für mich ohne die Kinder, Jugendlichen, ohne meine Kollegen vom Circus und der Schule und ohne gesellschaftliche Teilhabe? Ein solches Leben habe ich nie geführt und möchte es auch nicht führen müssenEs wäre ein Leben mit bedeutend weniger Lebensqualität!

Habt Ihr auch solche Gedanken und Fragen? Habt Ihr vielleicht schon für Euch Antworten gefunden? Schreibt mir, wie Ihr darüber denkt und wie Ihr jetzt durch diese Zeit kommt! Ich wünsche Euch, dass Ihr für Euch zu einer guten Lösung kommt.

Euer Jürgen

2 Kommentare

  1. Sabine Schöffthaler

    Der Beitrag spricht mit aus der Seele. Ich habe es bisher geschafft, beruflich integriert zu bleiben, nachdem ich durch eine Erkrankung aus meinem bisherigen Leben gerissen wurde. Ich konnte bis jetzt meine Arbeit weiter machen, obwohl sie an sich nicht für Rollstuhlfahrer geeignet erschien. Aber es ist bei mir gelungen, dass ich bleiben konnte. Ich liebe meine Arbeit, aber jetzt habe ich Angst, nicht mehr weitermachen zu können.
    Ich gehöre zur Risikogruppe und leide sehr unter der Ungewissheit. Ich frage mich, ob es so sein wird, dass die gesunden Menschen in wenigen Wochen ihr Leben weiterführen werden, während ich nur noch ein Zaungast dabei bin. Ich sehe sehr wohl die Verantwortung für meine Familie und vielleicht auch für die Gesellschaft, dass ich mich nicht in Gefahr bringen soll, damit ich meine Kinder nicht womöglich im Stich lassen muss, oder ein Krankenhausbett besetze, das jemand anderer, der sich an die Vorschriften gehalten hat, dann nicht bekommt. Aber der Preis ist zu hoch, man kann doch nicht die Menschen, die sowieso schon mit mehr Problemen kämpfen müssen, als diejenigen ohne Behinderungen, einfach weg sperren.
    Mir fällt auch auf, dass über die Risikogruppen nur sehr vage Aussagen gemacht werden. Die Frage, wie die Risikogruppen benannt werden, ist bei uns in Österreich schon sehr pragmatisch gelöst worden: alle die bestimmte Medikamente nehmen, wurden über die Krankenkassen ausfindig gemacht und werden nun zum Homeoffice oder zur Freistellung verpflichtet. Ich habe den Eindruck, dass ich nur warten kann, was auf mich zu kommt, ohne in irgend einer Form Einfluss darauf nehmen zu können. Das ist kein gutes Gefühl!

    1. Jürgen Klug

      Hallo Sabine, danke für Deinen Kommentar! Wie ich ja schreibe bereitet mir das auch große Sorge. Ich bin sehr gespannt, wie eine Regierung es rechtfertigen will, nur bestimmte Gruppen vom gesellsachtlichen Leben auszuschließen! Ich wünsche Dir, das Du für Dich die richtige Lösung findest. Ich wünsche Dir alles Gute!
      Liebe Grüße Jürgen

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